Fälschliche Berichterstattung und unzulässige Verdachtsberichterstattung - Geldentschädigung
Ende 2016 wurde auf der Homepage www…. Fotos mit zugehörigem Beitrag bezüglich einer Schusswaffenrazzia im Raum Frankfurt über unseren Mandanten veröffentlicht. Dabei wurden bloße Druckluftwaffen als Schusswaffen im Sinne des Waffengesetzes dargestellt und von harten Drogen berichtet, die nicht am Ort gefunden wurden. Dem Beschuldigten wurde keine Möglichkeit gegeben, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen, wie es das Presserecht im Rahmen einer Berichterstattung grundsätzlich fordert. Die Pressekammer des LG Frankfurt sprach unserem Mandanten mehrere tausend Euro Geldentschädigung zu. Die Gegenseite hat Berufung eingelegt.
Nachfolgend finden Sie nun auszugweise die Urteilsbegründung der Pressekammer des Landgericht Frankfurt:
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Landgericht Frankfurt am Main, 25.01.2018 - 2-03 O 203/17 - Presserecht
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Die angegriffene Berichterstattung ist nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung unzulässig.
Bei der Berichterstattung über einen Verdacht ist Voraussetzung, dass durch die Art der Darstellung deutlich gemacht wird, dass es sich einstweilen um nicht mehr als einen Verdacht handelt. Es ist daher zumindest erforderlich, dass erkenntlich wird, dass die Sachlage offen ist, der Verdacht nicht erwiesen ist (Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Aufl. 2013, § 16 Rn. 24e; Wenzel/Burkhardt, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 10 Rn. 154, 161; vgl. auch Löffler/Steffen, PresseR, 6. Aufl. 2015, § 6 Rn. 210) und im Ergebnis nicht mehr für als gegen seine Richtigkeit spricht (BGH, NJW 2000, 1036 - Namensnennung; Soehring/Hoene, a.a.O., § 16 Rn. 24e m.w.N.).
Das Interesse des Betroffenen verlangt es, dass die Presse mit der Veröffentlichung eines bloßen Verdachts gegen ihn umso zurückhaltender ist, je schwerer ihn die Vorwürfe belasten (BVerfG, NJW 2004, 589, 590 [BVerfG 26.08.2003 - 1 BvR 2243/02] - Haarfarbe des Bundeskanzlers; BVerfG, NJW 2007, 468 - Insiderquelle; Löffler/Steffen, a.a.O., § 6 Rn. 177). Es besteht ein Wechselbezug zur Dichte des Verdachts. Es entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die Presse das Informationsinteresse auf den Betroffenen möglichst schonende Weise befriedigt, solange das Risiko einer Falschbeschuldigung besteht…
Diesen Anforderungen wird die mit dem Antrag zu I. angegriffene Berichterstattung vorliegend nicht gerecht. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist die angegriffene Berichterstattung nach den oben dargestellten Grundsätzen als unzulässig einzustufen.
Der Kläger ist durch die Berichterstattung identifizierbar.
Im Zusammenspiel der Text- und Bildberichterstattung beinhaltet der Artikel auch die Aussage, dass Schusswaffen beim Kläger sichergestellt worden seien, ohne dass hier eine fernliegende oder einseitig auf den Schutz des Klägers ausgerichtete Interpretation des Berichtes vorgenommen werden müsste.
An die Erkennbarkeit einer Person werden grundsätzlich keine hohen Anforderungen gestellt. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob alle oder ein erheblicher Teil der Leser oder gar die Durchschnittsleser die gemeinte Person identifizieren können. Vielmehr reicht die Erkennbarkeit im Bekanntenkreis aus (BGH, GRUR 1979, 732 - Fußballtor; OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2017, 120 Rn. 44 - Dschihadist; Soehring/Hoene, a.a.O., Kap. 13 Rn. 37). Ausreichend ist es, wenn der Betroffene begründeten Anlass zu der Annahme hat, dass über das Medium persönlichkeitsverletzende Informationen auch an solche Empfänger gelangen, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, anhand der mitgeteilten individualisierenden Merkmale die Person zu identifizieren, auf die sich die Aussagen beziehen (BVerfG, NJW 2004, 3619, 3620 [BVerfG 14.07.2004 - 1 BvR 263/03]; BGH, GRUR 2010, 940 [BGH 11.03.2010 - I ZR 27/08] Rn. 13 f. - Überwachter Nachbar). Die Erkennbarkeit bei Bildnissen kann sich aus den Gesichtszügen oder sonstigen Merkmalen, die einer Person eigen sind, ergeben (BGH, GRUR 2000, 715, 716 [BGH 01.12.1999 - I ZR 226/97] - Der blaue Engel). Die Erkennbarkeit kann auch aus begleitenden Umständen wie anderen Bildeinzelheiten herrühren.
Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger in der in Streit stehenden Berichterstattung hinreichend identifizierbar.
Die Beklagten haben den Kläger in der angegriffenen Berichterstattung (Anlage K 2, Bl. 37 ff. d.A. und Anlage K 3, Bl. 40 d.A.) zwar nicht namentlich benannt. Allerdings ist der Kläger in den angegriffenen Berichten in einer Aufnahme, auf der auch sein Gesicht im Profil erkennbar ist, identifizierbar. Hinzu kommt, dass neben dem Kläger auch dessen Bruder auf einer Frontalaufnahme abgebildet ist, was die Identifizierbarkeit des Klägers erleichtert. Die Wortberichterstattung wird aus der Perspektive eines durchschnittlichen Lesers auch der abgebildeten Person zugeordnet…
Die zwingend vorzunehmende Abwägung der Interessen der Parteien - des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers gemäß Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf der einen Seite und der Pressefreiheit der Beklagten gemäß Art. 5 Abs. 1 GG auf der anderen Seite - fällt im Ergebnis zu Lasten der Beklagten aus.
Denn im vorliegenden Fall war die Berichterstattung, dass Schusswaffen sichergestellt seien, unwahr.
Die in Rede stehende Berichterstattung hatte keine Meinungsäußerung, sondern eine Tatsache zum Gegenstand. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfG, AfP 2013, 389 [BVerfG 24.07.2013 - 1 BvR 444/13], juris Rn. 18). …Die Berichterstattung über jene Tatsache war unwahr. Es steht außer Streit, dass beim Kläger eine Softair-Pistole, jedoch keine Schusswaffen gefunden worden ist. Softair-Pistolen fallen aus der maßgeblichen Perspektive des durchschnittlichen Lesers jedoch nicht in die Kategorie "Schusswaffen". Während eine Schusswaffe als ein Gerät verstanden wird, mit dem ein Geschoss zu aggressiven oder defensiven Zwecken in Kampfhandlungen verschossen werden kann, wird eine Softair-Pistole nicht so verstanden, da sie weder nach ihrer Art noch nach ihrer Bestimmung zur Herbeiführung wesentlicher Verletzungen geeignet ist (vgl. Weber/BtMG, 5. Aufl. 2017, § 30a Rn. 100).
An der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen besteht auch unter dem Gesichtspunkt der Meinungs- und Pressefreiheit kein schützenswertes Interesse (vgl. BVerfG, NJW 2012, 1643 [BVerfG 07.12.2011 - 1 BvR 2678/10] Rn. 33 - Grüne Gentechnik; BGH, NJW 2016, 56 [BGH 28.07.2015 - VI ZR 340/14] Rn. 31).
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Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfG, GRUR 2008, 539, 542 [BVerfG 26.02.2008 - 1 BvR 1626/07] - Caroline von Monaco IV) zu beurteilen.
Bildnisse einer Person dürfen grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden, § 22 S. 1 KUG. Ohne eine solche Einwilligung, die hier unstreitig nicht gegeben ist, dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) veröffentlicht werden, es sei denn, durch die Bildveröffentlichung werden berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG). Die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG andererseits. Unter Berücksichtigung der konkreten Form der Berichterstattung ist die den Kläger identifizierende Bildberichterstattung unter Anwendung der Grundsätze der Verdachtsberichterstattung unzulässig.
In der Abwägung sind jedoch - wie oben dargestellt - auch die Interessen des Betroffenen zu berücksichtigen. Ergebnis dieser Abwägung ist, dass der Presse gerade bei der Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat eine besondere Zurückhaltung und ihrerseits eine Beachtung der Interessen des Betroffenen obliegt. Dabei kommt insbesondere - auch von der Presse zu beachten - dem Grundsatz der Unschuldsvermutung Bedeutung zu. Denn selbst bei anfänglich anscheinend klarer Verdachtslage kann sich ein Verdacht im Nachhinein als unzutreffend herausstellen.
Die Kammer hat in die Abwägung auf Seiten des Klägers eingestellt, dass die Berichterstattung, auch einhergehend mit dem eingriffsintensiven Zeigen des Bildnisses des Klägers, einen starken Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellt. Die Profilaufnahme des Klägers zeigt diesen gleich zweimal mittig im Bild.
Der Vorwurf, dass Schusswaffen sichergestellt worden seien, hat zudem bereits für sich einen stark stigmatisierenden Einfluss, zumal die Einbettung in den Kontext eines "Drogen-Rings" bzw. der "Drogen-Mafia" diesen verstärkt. Dieser beim Durchschnittsleser hervorgerufene Eindruck wird durch die Wortwahl der Berichterstattung der Beklagten nämlich "Drogen-Ring in [...] zerschlagen!", "großer gefährlicher Drogenring", "traf die Drogen-Mafia bis ins Mark", "..." und "bei Razzien wurden Schusswaffen und Geld sichergestellt", verstärkt.
Für den unbefangenen Leser der Berichterstattung wird auch nicht hinreichend deutlich, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt. Der Bericht hat eine erheblich vorverurteilende Wirkung, die durch die Formulierung, dass die "..." "Drogen im hohen Kilo-Bereich" gehandelt haben "sollen", nicht hinreichend aufgelöst wird.
Weiter hat die Kammer in ihre Abwägung eingestellt, dass die Beklagte zu 1) dem Kläger nicht in hinreichender Form die Möglichkeit zur Stellungnahme geben konnte, da dieser in Untersuchungshaft war. Wenn der Betroffene vor einer Veröffentlichung eines ihn betreffenden Berichts nicht zum Wahrheitsgehalt befragt werden kann, gilt grundsätzlich, dass bei der Berichterstattung in besonderer Weise Zurückhaltung geboten ist.
Unter Berücksichtigung aller dieser Punkte hat die Beklagte in unzulässiger Weise die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung, insbesondere den Einfluss der Unschuldsvermutung, missachtet.
Die Berichterstattung lässt für den Durchschnittsleser praktisch keinen Raum für die Annahme, dass dem Kläger die vorgeworfene Straftat nicht anzulasten sein könnte.